Kontakt: post(at)rehhoffstrasse.de
Impressum/ Haftung
Datenschutzerklärung

Hafenstädte

Gefahrenherde und Anziehungspunkte

Als Verbindungspunkte im nationalen und internationalen Handel stellten Hafenstädte Endpunkte oder zumindest Zwischenstationen starker Wanderungsbewegungen dar, die das soziale und kulturelle Leben in der Stadt substantiell prägten. Die Einwohner der Hafenstädte gaben sich zunehmend als ›multikulturelle' Gesellschaft aus, lange bevor dieser Ausdruck gebräuchlich wurde. In ›Sailor Town' gab es mehr ausländische Vertretungen und Konsulate als in anderen Städten (allein in Hamburg 42 und 39 in Bremen zu Beginn des 20. Jahrhunderts) und kulturelle Termine im jährlichen Festkalender spiegelten die Internationalität der Hafenstadtbewohner wider.
Zum Selbstbild besonders männlicher Vorstellungen und Erfahrungen gehörte das Exotische ebenso wie das Anrüchige: Glücksspiele, Tätowierungen, Schmuggel, Alkohol und in vielen Fällen Promiskuität stilisierten den ›free-wheeling‹ Matrosen und Abenteurer. Die Hafenstädte lieferten das entsprechende Angebot. Die Zahl der Prostituierten war in Hafenstädten oft überproportional und reflektierte zum Teil die Konjunktur des Hafens als ›Gateway‹. So waren etwa in Liverpool im Jahr 1836 3.600 Prostituierte registriert. Die sogenannten Sneider-Deern in Hamburg waren ständing bereit, die Arbeitslöhne (und Kleider) von Seeleuten und Durchreisenden zu stehlen, während die meisten Gebäude im Schiedamschedigk in Rotterdam in der Tat Bordelle waren. Die Haupt- und Prachtstraßen des Vergnügungsbetriebs – ob Reeperbahn, Tiger Bay (Cardiff) oder Paradise Street (Liverpool) – übten eine geradezu magische Anziehungskraft aus. In Amsterdam gaben die Häfen der Ozeane ihre Namen zu Wirtschaftsschildern her - Coney Island Bar, Teehaus Reval oder Taverne Le Havre. In Liverpool gab man den Pubs dagegen gerne exotische Namen von nordamerikanischen Indianerstämmen.
Für viele Zeitgenossen, insbesondere Reedereibesitzer, Spediteure und die Wirtschaftseliten im Allgemeinen war die Anziehungskraft einer Hafenstadt eher ein Problem. Erstens waren die meisten Zuwanderer (Seemänner inbegriffen) relativ jung und unverheiratet. Auch im späteren 19. Jahrhundert gab es nur wenige Seeleute, die älter als 40 Jahre waren und die Entscheidung zu heiraten war oft mit einem Berufswechsel verbunden. Zweitens war der Aufenthalt in einer Hafenstadt in vielen Fällen durch übermäßige Sauferei gekennzeichnet, oft verbunden mit leichten Diebstählen, gesetzwidrigem Verhalten oder ›public order offences'. Zum Beispiel in Birkenhead, auf der anderen Seite des Mersey-Flusses von Liverpool, war Trunkenheit bei weitem die Hauptursache für die Verhaftung von Seeleuten, besonders am
Anfang des 20. Jahrhunderts. Schon am Ende des 18. Jahrhunderts hatte Hull eine große Zahl von Kneipen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren fast
1.500 konzessionierte Kneipen und 897 Bierschenken in Liverpool registriert und auch Marseille konnte jede Menge Trinkhallen anbieten. Drittens war die Stadtverwaltung ziemlich oft mit einer großen Zahl von Seefahrern und Zuwanderern im allgemeinen konfrontiert, die sich nur vorübergehend im städtischen Bereich aufhalten wollten. Schon im Jahr 1841 waren ungefähr 11.000 Seeleute in Liverpool bei der Volkszählung registriert, schon wenige Jahre später waren über 60.000 jährlich answesend, wenn auch in den meisten Fällen nur vorübergehend. Ähnliche Verhältnisse waren auch in anderen Hafenstädten zu finden. In London zum Beispiel waren ungefähr 12.000 Seeleute bei der Volkszählung im Jahr 1891 als ortsanwesend eingetragen, aber über 200.000 sind jährlich eingesegelt.
Unter solchen Bedingungen überrascht es nicht, dass einige Zeitgenossen zunehmend versucht haben, eine plausible Lösung für diesen Problembereich zu finden. Die Anschaffung und Erbauung von Heimen für Durchreisende und Alleinstehende, insbesondere für Seemänner in Hafenstädten, war in diesem Zusammenhang äußerst wichtig.

Sailors ́ Home Poplar, London, 1854