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Der Hamburger Knochen

Eine missglückte Wohnungsreform?

Der Hamburger Schlitzbau ist als für Hamburg typische Bauform der Hambur- ger Burg vorangegangen. Der Schlitzbau ist wie diese ebenfalls ein Ergebnis von Reformbestrebungen. Die Entstehung des Hamburger Schlitzbaus stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gesetzgebung, die sich seit dem Brand 1842 durch Reformen und Neuverabschiedungen immer wieder verändert hatte. Durch die Baugesetzgebung von 1865 entwickelten sich Terrassen bzw. Passagen und ein Vorläufer der Schlitzbauten, der sogenannte H-Grundriss. Bei diesem Typ wurden Fenster zu Lichtschächten hin ausgebildet. Diese reduzierte Belichtung und Belüftung wurde mit der Verabschiedung der neuen Baugesetze von 1882 und der Novelle von 1893 zwar gestoppt, jedoch wurde nun mit Schlitzen statt mit Lichthöfen gearbeitet. Nebenräume durften nach wie vor über Lichthöfe belichtet werden, hierzu gehörten auch die Kammern des Personals (vgl. Harms; Schubert 1998, S.24). Als Typus lässt sich für die Frühform des Schlitzbaus der H-Grundriss und nach 1882 für die klassische Form der T-Grundriss nennen. Die Bezeichnung der Etagenwohnhäuser als so genannte Hamburger Schlitzbauten bezieht sich in erster Linie auf deren markante Gebäude- und Grundrissordnung, im Volksmund auch »Hamburger Knochen« genannt, wie sie in dieser Form nur in Hamburg vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg auftraten. Entworfen wurden diese Gebäude interessanterweise in den seltensten Fällen von Architekten, son- dern in der Regel von Baugewerksmeistern (vgl. Harms; Schubert 1998, S.35), also Handwerksmeistern mit Zusatzausbildung (vgl. Funke 1974, S. 63).
Auch wenn ihre Verabschiedung mit besten Absichten erfolgte, die Wohn- und Lebensverhältnisse zu verbessern, so wiesen die Baupolizeigesetze doch Lücken auf, die zuließen, dass sich aus Profitinteresse ein Wohnungstyp etablierte, der gerade bei kleinen Wohnungen für die ärmere Bevölkerung zu teil- weise noch schlechter Belüftung und Belichtung führte als vorher. Dennoch gelten heute interessanterweise die Stadtteile mit gründerzeitlicher Bausub- stanz, also überwiegend mit Schlitzbauten, zu den guten Wohnvierteln des Mittelstands. Somit hat sich der von Fritz Schumacher verpönte Hamburger Schlitzbau zu einer gesellschaftsfähigen Immobilie gemausert, vielleicht da- durch, dass sie inzwischen die Gesellschaftsschicht anspricht, für die sie ursprünglich auch konzipiert worden war. Hierbei ist allerdings wichtig zu sehen, dass sich heute keine Familie mit Untermietern eine Schlitzbauwohnung teilen muss, sondern die Wohnungsgröße der Nutzergruppe entsprechend gewählt werden kann.

»Hamburger Knochen« Zweipänner oder Schlitzbau, Isestraße 19, Hamburg – Harvestehude 1908