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Das Zuhause früher

Die ursprüngliche Sozialstruktur

Das Ledigenheim war als temporäre Bleibe für alleinstehende und durchreisende Arbeiter konzipiert. Eine dauerhafte Bewohnung war vom ursprünglichen Nutzungskonzept, der Gebäude- und Organisationsstruktur zwar nicht vorgesehen, wurde durch diese aber begünstigt. Schnell etablierte sich durch die Nähe zu Wasser und Hafen eine Bewohnung durch Menschen mit seefahrt- und hafenbezogenen Berufen. Dies ist, mit Ausnahme der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, bis heute der Fall. So konnten die meisten Bewohner des Ledigenheims in der Rehhoffstraße ab den 1950ern und bis in die 1980er/90er Jahre hinein noch auf ähnliche Berufs- und Lebenserfahrungen zurückblicken.
In der Mehrheit wohnten hier, wie bereits erwähnt, Hafenarbeiter und überdurchschnittlich viele Seeleute. Diese waren von ihrem Arbeitsalltag, z.B. dem Leben an Bord, stark geprägt. Als Seemann war man in der Lage, auf engstem Raum mit anderen Menschen zusammen zu arbeiten und zu leben. Dies erforderte gewisse Regeln, oft stillschweigende Abkommen und eine hohe Toleranz. Diese mitgebrachten Umgangsformen bestimmten maßgeblich die Hausregeln des Ledigenheims.
Die Seemänner hatten verglichen mit anderen Menschen einen weiter gefassten Begriff von »Normalität«. So lange einen etwas nicht über die Maßen störte, ließ man den Anderen gewähren. Durch diesen gemeinsamen Erfahrungshintergrund bestand auch eine ganz eigene Solidarität unter den Bewohnern. Man half sich eher gegenseitig und griff sich unter die Arme, bevor man Fremde hinzuzog. Man wusste, worauf man sich beim Anderen verlassen konnte und worauf nicht. Die Bewohner teilten gewisse Lebensvorstellungen und einen gewissen Lebensentwurf. Für diesen hatte man sich mehr oder weniger freiwillig entschieden. Zumindest war einem die eigene Sonderstellung bewusst. Eine der Besonderheiten, die der Beruf mit sich brachte, war auch, dass sich Prioritäten verschoben. Wozu sollte man beispielsweise eine teure, große Wohnung monatelang leer stehen lassen? Den Männern, die in der Mehrzahl keine eigenen Familien hatten, kamen die kleinen Zimmer als Wohnraum in Hamburg insofern entgegen. Sie waren in gewisser Weise die Fortsetzung der Normalität ihres Lebens an Bord und umgekehrt. In beiden Fällen gab es zudem geregelte Abläufe in familienähnlichen Strukturen. So etablierte sich über gut 90 Jahre eine lebendige Solidargemeinschaft, in der viele ein Leben lang blieben.
Das Ledigenheim bot diesen Arbeitern neben einer ganzen Reihe von Domizilen in der südlichen Neustadt eine der passenden Wohn- und Unterbringungsformen.

Der Unterschied zu den anderen Häusern war jedoch, dass den Mietern im Ledigenheim die Möglichkeit gegeben war, die Zimmer dauerhaft zu mieten. In den umliegenden Seemannsheimen war nur eine temporäre Bewohnung erlaubt, mit der Option die eigenen Habseligkeiten während der Abwesenheit im Keller zu lagern. Bedingt durch die liberalere Vermietungspolitik und nicht zuletzt durch die geringe Miete, wussten die Bewohner ihre "persönlichen Affekte" in der Rehhoffstraße sicher in der eigenen Kammer. Zudem stand das Ledigenheim allen Berufsgruppen offen, so dass sich mit der Zeit eine dauerhafte, zwar seemännisch geprägte, aber doch heterogene Bewohnerschaft etablierte. So wohnten hier zuletzt Kapitäne, erste Offiziere, Hafenärzte, Monteure, Söldner, Köche und Arbeiter unter einem Dach. Ein weiterer Vorteil war spätestens nach den 1968er Jahren die Konfessionslosigkeit des Hauses. Man fühlte sich hier ungezwungener.
Gemeinsam war allen Seemanns- und Ledigenheimen die Ausstattung mit Gemeinschaftsräumen. Diese waren für das Zusammenleben und die Gemeinschaftsbildung von entscheidender Bedeutung und umfassten im Ledigenheim unter anderem einen Speise- und Lesesaal, Verwaltungs- und Gewerberäume. Diese Räume im Erdgeschoss fielen in ihrer ursprünglichen Form bereits nach dem Krieg aus dem Gesamtzusammenhang und wurden getrennt vom Ledigenheim separat vermietet. Jedoch standen sie den Bewoh- nern ca. bis zum Jahr 2000 als Gaststätte mit Pächter immer noch zur Verfügung. Diese wurde von den Bewohnern weiterhin, und später auch von Nachbarn, als »Ersatzwohnzimmer« genutzt. Auch ein kleines Geschäft befand sich im Erdgeschoss und wurde zuletzt als Kiosk betrieben. Dieser diente den Bewohnern und Nachbarn gemeinsam mit der Gaststätte als regelmäßiger Treffpunkt und Ort des Austausches im Stadtteil.
Wesentlich für das Verständnis der früheren Situation des Hauses ist zudem die Funktion des Verwalters/Pförtners. Dieser war eng mit dem Haus verbunden und lebte ursprünglich in einer eigens für ihn in der Anlage vorgesehenen Wohnung. Die Pförtnerloge befand sich im Eingangsbereich des Hauses. Der Pförtner war jeden Tag im Haus, erledigte die Verwaltung und wachte über den gesamten Betrieb. Diese große Nähe barg auch Konfliktpotential. So wurde eine zu strenge Auslegung der Hausordnung z.B. in Sachen Damenbesuch das ein oder andere Mal durchaus als lästig empfunden. Andererseits wusste man die Vorzüge zu schätzen. Beim Pförtner unterschrieb man die Hausordnung, die ursprünglich als Mietvertrag ausreichte. Er kannte die gesamte Hausgemeinschaft und die Eigenheiten der Bewohner und konnte bei einer Neuvermietung einschätzen, ob eine Person in das bestehende Gefüge hineinpasste oder nicht. So gab es auch die Möglichkeit, Bekannten ein frei werdendes Zimmer zu vermitteln, was teilweise dazu führte, dass horrende »Prämien« für eine Kammer gezahlt werden mussten. Im Großen und Ganzen war man jedoch an einem reibungslosen Ablauf interessiert. Des Weiteren wollte niemand für falsche Entscheidungen oder für Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Durch den Pförtner konnten fast die gesamte Hausverwaltung und alle Hausangelegenheiten auf dem kleinen Dienstweg erledigt werden. Hierzu war der Pförtner mit den dazu notwendigen, umfangreichen Kompetenzen ausgestattet. Eine Hauptaufgabe des Pförtners war auch die Koordinierung und Überwachung von Reparaturen und der umfangreichen Dienstleistungen. Der ursprüngliche Rundumservice im Ledigenheim umfasste die Reinigung der Gemeinschaftsflächen, Küchen, Sanitäranlagen und Flure. Auf Wunsch erhielt man individuelle Leistungen, wie Zimmerreinigung und das Putzen der Fenster. Dies war vor allem bei längerer Abwesenheit von großem Vorteil. Die Reinigung wurde von vier Reinigungskräften übernommen, die jeweils fünf Stunden täglich im Haus tätig waren. Auch ein Wäscheservice, der regelmäßig für frische Bettwäsche und Handtücher sorgte, gehörte dazu.
Das Ledigenheim mit seinen Gemeinschaftsräumen und zahlreichen Serviceleistungen bot ledigen Individualisten eine Privatsphäre, ein Zuhause, in dem man unbefristet mit seinem persönlichen Hab und Gut leben konnte, auch wenn man lange unterwegs war.

Seeleute, 1933

Bewohner des Ledigenheimes in der Rehhoffstraße